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von opfern und tätern

 in einem blogbeitrag las ich von dem schmerz einer person, es wurde ihr leid angetan, der schmerz darüber ist so groß dass es kein verzeihen, kein verstehen, kein nichts gibt. sie lebt diese geschichte durch ihre sexualität aus, er ist geprägt von gewalt und härte und hat dennoch etwas von zärtlichkeit. sie schreibt annoncen, in denen sie menschen sucht, die sie schlagen kann. ihre wut ist so groß, ihre verletzung so mächtig, sie trägt diese verwundung, pflegt sie, bewahrt sie in sich.

gegen diesen schmerz, gegen diese verletzung sind wir, so scheint es, machtlos. wir geben uns diesen wunden hin, finden uns in der ohnmacht und des zorns des opfers wieder.

es war schmerzlich und verstörend für mich, darüber zu lesen. gleichzeitig war ich erstaunt über die offenheit dieser person, über die art, wie sie mit dem was ihr angetan wurde umzugehen vermag. ich entdeckte dabei meine eigenen wunden, und es gelang mir, mit diesen in kontakt zu treten.

meine ersten überlegungen waren, wie dieser schmerz zunächst angenommen werden kann, doch schien es mir aussichtslos, diesen schmerz, der uns überwältigt, zu tragen, ihn auszuhalten, ihn als teil unserer geschichte zu sehen. diese wut scheint so gewaltig, eine wut, die sich gegen den täter richtet, dennoch ein teil eines selbst ist. eine wut, die einfluss nimmt, die sich letztlich gegen das opfer richtet und die handlungen des opfers beeinflusst. überwältigt geben wir uns diesen verletzungen hin und halten unser erlebtes am leben.
dennoch, wir sind mehr als unsere geschichte, es gibt immer einen ausweg, es ist der weg zum heil sein fortwährend präsent.

die präsens des heilseins

inspieriert hat mich eine stelle des films „the mission“. sie hat mich in verbindung gebracht mit der kraft der liebe, deren wurzel die hingabe und die bedingungslose akzeptanz des moments ist.

„wenn ich alle glaubenskraft besäße
und damit berge versetzen könnte,
hätte aber die iebe nicht,

und wenn ich meine ganze habe verschenke,
und meinen ganzen leib dem feuer übergäbe,
hätte aber die liebe nicht,

nützte es mir nichts.

liebe ist langmütig,
liebe ist gütig,
liebe, sie ereifert sich nicht,
liebe, sie prahlt nicht,
liebe, sie bläht sich nicht auf.

als ich ein kind war,
redete ich wie ein kind,
dachte wie ein kind.

als ich mann wurde,
legte ich ab,
was kind in mir war.

für jetzt bleiben,
glaube, hoffnung, liebe,
diese drei,

doch am größten unter ihnen
ist die liebe.“

aus dem film „the mission“

 die liebe ist es, die fehlt wenn wir hassen, wenn wir unsere wut leben – und gleichzeitig, gäbe es die liebe nicht ohne die wut.

es ist schwer einen täter zu verstehen, die positiven aspekte dieses menschen zu erkennen, ihm mit liebe zu begegnen, diese wut gehen zu lassen, um an deren stelle verständnis zu schaffen, deren ursprung in der liebe zu finden ist. ich denke, verständnis ist der schlüssel, ohne dem es keine vergebung gibt, ohne dem wir uns in der macht des hasses verlieren – dabei verlieren wir uns selbst, werden „blind“ sehen nicht mehr das lebendige, bleiben in dem was war verhaftet, ohne hoffnung auf veränderung.

doch auch die blindheit hat ihre funktion, sie ermöglicht es, uns vor uns selbst zu distanzieren, abstand zu nehmen, um uns nicht mehr spüren zu müssen, um unseren schmerz nicht wahrnehmen zu müssen – wir ergeben uns dem schmerz, weil wir ihn nicht tragen können, das macht den schmerz nur mächtiger.

die ohnmacht unser leid zu tragen, lässt uns in dem glauben, es gäbe keine erlösung von dem leid, wir sehen uns in dem unwissen wie das leid, das uns angetan, bewältigt werden kann. die suche nach einem schuldigen ist naheliegend, der täter, jener mensch, der uns den schmerz zugefügt hat, dem gehört diese „energie“, die sich in unserem zorn, in unserer wut manifestiert – es ermöglicht uns noch mehr distanz.

ich denke, die achtsamkeit, die präsenz im moment zu verweilen, wahrzunehmen, was ist, kann uns helfen dieses verständnis zu erlangen, kann uns die kraft geben, unseren schmerz zu tragen. wenn wir unseren schmerz annehmen, kann anstelle des zorns die liebe den platz einnehmen – dadurch bekommen wir die möglichkeit uns diese liebe zu geben, eine liebe, die für die „heilung“ unseres schmerzes von nöten ist. wir benötigen die liebe für die entwicklung des mitgefühls, auch dem täter gegenüber.

ich erlebe, wenn ich mit traumatisierten menschen arbeite, immer wieder die schuldsuche und erniedrigung des täters – diese schuldzuweisung ist allerdings nur der deckmantel, unter dem es sich zu verstecken gilt. würden diese „opfer“ über ihre gefühle sprechen, über ihren schmerz, über das leid und die leere die in ihnen wohnt, könnte sich der kontakt zu dem eigenen wesen wieder aufbauen, könnte die achtsamkeit wieder einzug halten in das leben.
gelingt es uns diese achtsamkeit zu leben, uns jeder sekunde in unserem leben gewahr zu sein, bemerken wir, dass wir es sind, die über die art wie wir unser sein gestallten bestimmen.

versetzen wir uns in die rolle eines täters

ich denke wir sind alle täter. wir haben alle bereits erlebt, die schuld an unseren händen zu haben. wir sind nicht glücklich mit dem was wir getan haben. wir produzieren unsere tat aus unserem eigenen leid, aus unserer eigenen unwissenheit heraus. wenn wir als opfer den erfahrenen schmerz wahrnehmen können, gelingt es uns ansatzweise zu verstehen, wie es in dem täter aussieht, wir spüren dieses leid, es ist nicht unseres. hierzu ein zitat von thich nhat Hhanh.

„wenn wir selbst leiden, neigen wir leicht zu dem glauben, dass wir die opfer anderer menschen seien und die einzigen, die leiden, doch das ist nicht richtig – der andere mensch leidet ebenfalls.“

 wir sind alle nicht reinen herzens, in jedem von uns steckt das gute sowie das böse – ohne diese sich bedingenden gegensätze, gebe es keine dieser eigenschaften. doch gelingt es uns selten weniger gute eigenschaften an uns zu akzeptieren, wir verurteilen sie, wollen sie oft nicht wahrhaben. ja wir sind alle täter, und es ist gut. an dieser stelle noch ein zitat von khalil gibran.

 „und der den übeltäter auspeitschen will, soll den geist dessen erforschen, dem übles getan wurde.
und wenn einer von euch im namen der rechtschaffenheit strafen und die axt an den baum des bösen legen möchte, soll er ihn bis zu seinen wurzeln prüfen;
und wahrhaftig, er wird die wurzeln des guten und bösen finden, des furchtbaren und des unfurchtbaren, alle ineinander verflochten im stillen herzen der erde.“

ich möchte hier niemanden verurteilen, möchte nicht die schuld von taten die begangen sind verniedlichen, das liegt mir fern. lediglich möchte ich das bewusstsein schärfen, für die präsenz der dualität, die in jedem von uns innewohnt.
ich denke, mit diesem wissen, mit der anerkennung der dualität gelingt es uns leichter, in uns das mitgefühl und die liebe wachsen zu lassen. zugegeben es ist nicht leicht das gute in einem menschen zu sehen, der anderen böses tut. dennoch sehe ich, ist es der einzige weg die liebe zu sich selbst wieder zu finden.

wenn du keine liebe im herzen hast, dann hast du nichts.

doch sagt ihr, welche erfahrungen habt ihr mit diesem thema.
wie geht ihr damit um wenn ihr verletzt werdet?
was hat euch geholfen euch von der gewalt des schmerzes zu lösen?

4 Gedanken zu „von opfern und tätern“

  1. Was hat geholfen? Meine Antwort ist ganz einfach und besteht aus einem Wort:
    STILLE
    Das ist meine Erfahrung – bei meinen Patienten wie bei mir selbst. Stille – nicht einfach tonloses Schweigen und Totenstille, sondern „Stille“ verstanden als: keine Reaktion, sehen was ist, kein Bewerten, Analysieren, Kategorisieren. Dann geht alles in den Raum, Energie wird aufgebaut, Heilung geschieht.
    … Zu dem Film-Zitat aus „The Mission“. Es ist etwa 1950 Jahre alt, geschrieben hat es eine gewisser Paulus, ehemals Jude und Christenverfolger, später eifriger Missionar. Zum ersten Mal veröffentlicht in. „Die Bibel, 1. Korintherbrief, Kapitel 13“ auch bekannt als das Hohelied der Liebe.
    Dazu eine wahre Begebenheit. Beim Gottesdienst anläßlich der Beerdigung von Lady Diana hat Premierminister Tony Blair diesen Text in der Westminster-Kathedrale vorgetragen. Ein Fernsehkommentator sagte dazu: „Das war die beste Rede, die Tony Blair je gehalten hat.“ – Soviel zum Geheimnis der Wirkung solch alter biblischer Texte.
    Kompliment für deinen schönen Artikel
    Herzliche Grüße Dionysos

    PS: Hast du meine e-mail von neulich eigentlich bekommen mit meiner Praxisinfo samt Hintergrund…?

  2. danke dionysos für die information, ich glaube ich sollte die bibel jetzt doch endlich mal lesen, ich habe es mir ja schon so oft vorgenommen. auch wenn ich an der kirche nicht alzusehr hänge, es gibt doch gedanken die es wert sind…
    ich habe jedenfalls diese stelle nachgelesen. ich finde sie noch um einiges kräftiger in der ursprünglichen formulierung.

    stille – hier kann ich viel hineininterpretieren, und wahrscheinlich ist diese stille für jeden etwas eigenes. ich frage mich oft, wie menschen zu dieser stille kommen, wenn ihr schmerz doch so aufwühlt.
    ich sehe die stille als einen aspekt der liebe, eine liebe die in allen von uns ruht. sie wartet darauf entdeckt und gelebt zu werden, um einfach nur zu sein.

    liebe grüsse,
    michael.

  3. Danke Michael fuer diese Auseinandersetzung, hab sie heute noch einmal gelesen und jetzt ist sie ganz klar fuer mich.
    Diese Perlen der Weisheit, die du zitierst, finden sich glaube ich in jeder Glaubensrichtung. Jesus hat sich auch aehnlich geaeussert wie Khalil Gibran: „Derjenige unter euch, der ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein.“
    Ich kann Zu diesem Thema den Film „Invictus“ waermstens empfehlen, ich spuere mir jetzt noch die Traenen in die Augen steigen, wenn ich an gewisse Szenen denke.
    Ich moechte zum Thema Schuldzuweisungen und Gerechtigkeitsbeduerfnis noch etwas sagen: ich vermute, dass es darin eigentlich darum geht, gesehen zu werden. Wenn ein Mensch darin „Recht bekommt“, dass er oder sie fuehlen darf, wie er oder sie es tut, dass es in Ordnung ist, verzweifelt, hilflos, verletzt, aggressiv usw. zu sein, dann ist es oftmals nicht noetig, dass er oder sie weiter daran haften bleibt, als es noetig ist, um die Erfahrung zu integrieren. Das ist etwas, was sowohl Opfer als auch TaeterInnen in uns gebraucht haetten und brauchen. Als Erwachsene muessen wir oft muehseelig nachlernen, was in der Kindheit grundgelegt haette werden sollen: das Wissen um die Richtigkeit unseres So-Seins.
    Daher bin auch ich der Meinung, dass das Ueben von Achtsamkeit uns im TaeterIn/Opfer-Thema hilfreich ist, denn das unterstuetzt uns darin, diesem Bewusstsein wieder naeher zu kommen.
    Liebe Gruesse, Isis

  4. hallo isis,
    es interessiert mich, welche stellen in dem film, oder besser gesagt, was an den film dich berührt hat.
    also was das thema schuld und gerechtigkeit angeht, hmm… ich finde deinen ansatz ganz gut, gesehen zu werden – naja, da gibt es merke ich einige wörter, über dessen sinn ich noch nachdenken muss – etwa über das wort recht, oder das wort ordnung – da sprudelt es gleich und es zieht ein komentenschweif an gedanken in mir durch. nur leider sind meine fin´ger nicht schnell genug, dies hier zu posten
    ja, vielleicht folgt eine auseinandersetzung damit?

    danke jedenfalls für deinen beitrag, er inspiriert, und ich merke, dass es noch einige unbeschribene flecken in meinem blickfeld gibt.
    herzliche wünsche,
    michael.

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